Von Menschen und Moogs

Das 34. Jazzfest, wieder einmal erweitert um einen zusätzlichen Festivaltag, fand an zwei Spielorten statt, in der alten Black Box bei der neuen Gasteig-Concièrge „FatCat“ und im Blitz-Club, im Deutschen Museum, vom 2.-5. November. Zweimal mit eigenen Technikern und eigenem Equipment umzuziehen, verlangte dem Team um Andy Lutter und Miko Rein und der Video-Crew einiges ab. Ein Kraftaufwand in logistischer und jeglicher Hinsicht.
Dafür bot das Festival eine breitgefächerte Programm-Palette, stilistisch gesehen und was die Art der verschiedenen Formationen anging.
Im Zentrum des Staunens stand ein elektronischer Schrank aus der ersten Generation der Moog Synthesizer. Ein überdimensioniertes, unpraktisches Prunkmöbel für sonderbare Töne, ausgemustert aus den smarten Wohnungen der Gegenwart, wieder zurück, dort wo es zusammengeschraubt wurde, in einer gleichwohl würdigeren Garage, dem Museum. Für die wenigen, die das ganze Festival verfolgen konnten, diente dieses Unikum der elektronischen Revolution letztlich dazu, sich umso mehr für die kleinen Formationen der physischen Tonerzeugung zu begeistern.
Ein außerordentlich anregendes Spannungsverhältnis: Man war darauf gespannt, ob und wie die Urform der elektronischen Phonetik in ihrer Wirkung überhaupt noch zu verstehen oder zu spüren sei, an diesem letzten Abend im dafür idealen Raum, dem Blitz-Club im Deutschen Museum mit einem stummen Bruder aus der gleichen Prototypenreihe des Moog IIIp in der Instrumentenausstellung des Museums darüber. In dieser Anordnung hatte das schon eine kunstästhetische Klasse, die über eine Jazzband-Präsentation hinausging.
Dazu eine kleine geschichtliche Einordnung:
Robert Moog brachte 1968 mit dem Moog IIIp das erste modulare Synthesizersystem auf den Markt. (Auch diese Revolution kam aus einer Garage) Im gleichen Jahr hat die an der Entwicklung beteiligte Elektronikpionierin und Komponistin Wendy Carlos, die damals noch Walter Carlos hieß, Johann Sebastian Bach in die Steckdose gesteckt und mit „Switched-On Bach“ die damals meistverkaufte Klassik-Platte produziert. Kurz darauf erwarb der Komponist Eberhard Schoener eines der ersten Exemplare dieser Bauart, bereits kombiniert mit einem Sequenzer. Diesen berühmten Schrank vermachte er 50 Jahre später im Mai 2019 dem Deutschen Museum. Dort steht er stumm, versehen mit einem Schild mit der Aufschrift „Nicht berühren“.
Dem Bassisten und Synthesizer-Spieler Mario Schönhofer war es nun heuer zu verdanken, dass ein Exemplar der Baureihe IIIp an zwei Abenden im Blitz-Club aufgebaut und intensiv berührt werden konnte.
Da stand er also, der legendäre Schrank, mittlerweile fast ein Schrein geworden für die Fans des körperlosen Tons.- Körperlos, weil seine errechneten Töne keines Resonanzkörpers bedürfen, um erzeugt werden zu können. Mit seinen leise blinkenden Anzeigen, den Potentiometern und den Patchkabeln wirkte er beeindruckend wie ein hermetischer Torso aus Kubrick´s 2001.
Ohne Sequenzer, beflissen darauf aus, monophone Äußerungen der elektronischen Eminenz zu entlocken, arbeiteten Mario Schönhofer und And.Ypsilon mit Kopfhörern und mit dem Rücken zum Publikum an dem elektronischen Urheiligtum. Kurze, manchmal geradezu kurz angebundene tonale Auswürfe wurden „rechteckig“ verlautbart und in einem Rauschen der lauschenden Gemeinde wieder entzogen. Ohne Sequenzierung, Ausbildung einer Reihe, brachen die kryptischen Botschaften immer wieder ab, die beiden Laboranten an den Drehknöpfen der Vergangenheit mussten die elektronische Lade immer neu reizen. In den Breaks schienen die Fans mit ihren affirmativen Bewegungen einen musikalischen Prozess nicht abbrechen lassen zu wollen. Einen musikalischen? Das ist die Frage. Oder war diese Szenerie vielleicht so etwas wie eine Co-Provokation des Unbewussten zwischen Mensch und Moog? Meldungen aus einer körperlosen Welt? Elektronische Esoterik?
Erstaunlich, bei allem, was in der elektronischen Musik von der Disco der 1980er Jahre bis zum Rave, der elektronischen E-Musik und in zahllosen Filmmusiken seit Clockwork Orange entstanden ist, schien es der pure, eigentlich minimalistische Ton des Moogs zu sein, der am letzten Abend des Festivals die Fans von Knobs & Wires in der Katakombe des Blitz-Clubs faszinierte.
Von Menschen und Moogs. Fragen der Aktivität des Unbewussten in der Interaktion von Mensch und Maschine. Will man die Antworten wissen? Die Maschine immerhin, sie schweigt.